Agnes Neuhaus
Agnes Neuhaus, Verbandsgründerin des Sozialdienst katholischer Frauen, war eine außerordentlich interessante Frau des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die auch gleichzeitig für den Aufbruch von
Frauen in die Moderne stand. Sie wurde 1854 in Dortmund als Tochter des geheimen Sanitätsrats Dr. Franz Morsbach und seiner Frau Florentine, geb. Riesberg, geboren. Ihr Vater hatte eine Reihe wichtiger politischer Ämter in Dortmund inne. Er war Vorsitzender des örtlichen Ärztevereins,
Präsident der Ärztekammer des Regierungsbezirks Arnsberg und der Provinz Westfalen. Er war lange Jahre Stadtverordneter, später auch Stadtverordneten-Vorsteher in Dortmund und
Aufsichtsratsmitglied der Harpener Bergbaugesellschaft, er hatte somit eine Reihe wichtiger standes- und allgemeinpolitischer Ämter inne. Zu vermuten ist, dass sowohl ihr Vater wie auch ihre Mutter hinsichtlich der Verbandsgründung und auch für ihre spätere politische Karriere Vorbildfunktion hatten. Agnes Neuhauss' Mutter Florentine, geb. Riesberg, war lange Zeit eine
bekannte Privatlehrerin für Französisch in Dortmund, sie hatte also in der damaligen Zeit einen anerkannten Erwerbsberuf. Das Stundengeben stellte sie erst nach der Geburt des dritten Kindes ein. Sie leitete einen katholischen Frauenverein, gründete einen Wöchnerinnenverein und war
außerdem Vorsitzende des städtischen Kinderpflegevereins. Darüber hinaus organisierte sie einen Sonntagsunterricht zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen.
Der hier sehr kurz beschriebene familiäre Hintergrund zeigt, dass das spätere soziale Engagement von Agnes Neuhaus starke familiäre Wurzeln hatte. Agnes Neuhaus hatte sieben Geschwister,
entstammte also einer sehr großen Familie. Als Agnes Neuhaus zwölf Jahre alt war, kam sie in ein Mädchenpensionat in Haselünne, wo sie über zweieinhalb Jahre blieb, anschließend besuchte sie in ein französisches Pensionat. Ihr wurde also die damals für bürgerliche Frauen typische Ausbildung vermittelt.
Untypisch allerdings war eher, dass sie 1877 eine Ausbildung an der Musikhochschule in Berlin begann, die sie bei ihrem Vater nur schwer durchsetzen konnte. Sie lernte dann in Berlin den Gerichtsassessor Adolf Neuhaus aus Münster kenne, den sie 1878 heiratete. Die Familie lebte
zunächst vier Jahre in Berlin, dort wurden auch ihr Sohn und ihre erste Tochter geboren. Danach wurde ihr Mann Amtsrichter in Gelsenkirchen, dort wurde die zweite Tochter geboren. Schließlich, ab 1890 lebte Familie Neuhaus in Dortmund, wo Adolf Neuhaus Amtsrichter, und damit auch
Vormundschaftsrichter, war. Das Leben der Familie änderte sich im Jahre 1899 sehr, als Agnes Neuhaus mit der Fürsorgearbeit begann.
Anlass für die Konfrontation mit sozialem Elend war die Bekanntschaft mit dem damals neu nach Dortmund gekommenen Stadtrat Dr. Henrici, der für die Bereiche Armenverwaltung und
Gemeindewaisenrat zuständig war. Dieser Stadtrat wollte speziell Frauen in die sich damals erst langsam entwickelnde und natürlich auch ehrenamtliche soziale Arbeit mit einbeziehen, ein für die damalige Zeit äußerst innovatives Anliegen. Ihr erster "Fall" führte sie in die
Geschlechtskrankenstation eines Dortmunder Krankenhauses, wo sie für die Betreuung einer
erkrankten Frau zuständig war. Das, was sie dort an Elend wahrnahm und erfuhr, beeindruckte sie zutiefst und war letztlich auch der Auslöser, sicher nicht die alleinige Ursache, der dann zur
Vereinsgründung des damaligen "Vereins vom guten Hirten" im Jahre 1899 beitrug.
Zu kurz gegriffen wäre sicherlich, wenn die Gründung des Vereins nur im Kontext der individuellen Erfahrungen von Agnes Neuhaus gesehen würde. Erinnert sei daran, dass das ausgehende 19.
Jahrhundert und der Beginn des 20. Jahrhunderts von der sozialen Frage, die sich aus der Industrialisierung und der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten ergab, geprägt wurde, und
dass es eine Vielzahl von politischen und kirchlichen Bestrebungen zur Problemlösung gab. 1891 hatte Leo XIII. seine große Sozialenzyklika ‚Rerum Novarum', in der auch der Arbeiterschaft ein Recht auf eigenen Besitz zugestanden wurde, erlassen. Es hatte die Bismarcksche
Sozialgesetzgebung gegeben. In diesem Kontext gründete Agnes Neuhaus den Verein vom guten
Hirten, der dann 1903, um sich von den gleichnamigen Klöstern abzugrenzen und um die Aufgaben des Vereins in Anlehnung an den Namen und die Funktion des preußischen
Fürsorgeerziehungsgesetzes zu verdeutlichen, in "Katholischer Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder" unbenannt wurde.